Ameisenlöwen

Hortus Columbarium; Ameisenlöwe

 

Als Ameisenlöwen (früher auch „Afterjungfern“) werden die Larven einiger Ameisenjungfern (Myrmeleontidae) bezeichnet, die eine Familie der Insekten aus der Ordnung der Netzflügler darstellen.

Innerhalb der Netzflügler bilden die Ameisenjungfern die artenreichste und am weitesten verbreitete Gruppe, ein evolutionärer Erfolg, der ganz wesentlich auf die Lebensweise der Larven zurückgeführt wird. Ein Großteil der Arten, deren Larven ausschließlich räuberisch leben, hat mit der Besiedlung von Sandlebensräumen nämlich eine neue ökologische Nische erschlossen. Eine besonders weit entwickelte Form der Anpassung ist dabei der Beutefang mittels selbstgegrabener Trichter im lockeren Sand. Dieses ungewöhnliche Verhalten ist bereits lange bekannt und hat sowohl Eingang in Mythen und Legenden gefunden als auch immer wieder wissenschaftliches Interesse geweckt. In vielen Sprachen steht die entsprechende Übersetzung des Wortes „Ameisenlöwe“ als alleinige Bezeichnung der Tiergruppe zur Verfügung und wird auch für die weniger bekannten erwachsenen Tiere, die Ameisenjungfern, verwendet.

Der Ameisenlöwe wurde in Deutschland zum Insekt des Jahres 2010 und zum „Heimlichtuer des Jahres 2022“ gekürt.

Ameisenlöwen besitzen einen kompakten, länglich-rundlichen Körperbau, von dem nur der Kopf und die Beine – insbesondere das mittlere Beinpaar – abgesetzt sind. Die Kopf-Rumpf-Länge erreicht – je nach Art – etwa 1,5 cm. In der Färbung sind sie als bodenbewohnende Tiere meist an den Untergrund angepasst durch eine graue oder braune Grundfärbung mit dunkler Zeichnung. Exotische Arten sind auch bräunlich, rötlich oder hellgelb gefärbt. Oft werden Partikel des umgebenden Substrats zwischen die Borsten der Körperoberseite aufgenommen, so dass optisch eine Verschmelzung mit der Umgebung erreicht wird.

In vielen Punkten ähnelt der Körperbau der Ameisenlöwen dem anderer Netzflüglerlarven, es gibt aber wesentliche Eigenheiten, die mit der Entwicklung einer sandbewohnenden Lebensweise zusammenhängen.

Netzflüglerlarven sind generell spezialisierte Jäger, die Kieferzangen mit einem Saugkanal besitzen, um Beutetiere aufzuspießen und das aufgelöste innere Gewebe auszusaugen. Gemeinsam mit den Larven der Schmetterlingshafte und der Nymphidae zeichnen sich die Ameisenlöwen durch die Entwicklung stark vergrößerter, am Ende sichelförmig gebogener Kieferzangen aus, die auf der Innenseite mit Greifdornen versehen sind. Diese hochentwickelten Beutefang-Werkzeuge erLauben die Erweiterung des Beutespektrums um stark gepanzerte und wehrfähige Insekten, was eine Lebensweise als Lauerjäger ermöglicht. Ferner wird durch diese Ernährungsweise das Eindringen von Sand ins Körperinnere praktisch ausgeschlossen. Die Verbreiterung und kräftige Beborstung der Kieferzangen macht aus diesen außerdem eine effiziente „Wurfschaufel“ für die grabende Tätigkeit.

Die Außenhülle des Körpers ist beim Ameisenlöwen fast vollständig geschlossen, Ausscheidung findet nicht statt, da die Nahrung fast komplett verwertet werden kann. Auch dadurch wird einerseits das Eindringen von Sand, andererseits der Verlust von Wasser verhindert, beides Voraussetzungen zum Leben in trocken-heißen Sandgebieten. E

Die Körperoberfläche des Ameisenlöwen ist vollständig bedeckt mit Borsten verschiedenen Typs (Stemmborsten, Langborsten, Fiederhaare und Gabelhaare). Diese dienen als Sinnesorgane zur Registrierung sich nähernder Beute wie auch zur Fixierung des Körpers im lockeren Sand und zur Unterstützung der Grabetätigkeit. Im Gegenzug sind die Augen, die bei der eingegrabenen Lebensweise nur eine geringe Rolle spielen, stark reduziert.

Die Beine vieler Arten sind zurückgebildet und ermöglichen damit nur eine langsame, ruckartige Fortbewegung, oft auch nur rückwärts.

Alle Ameisenlöwen leben räuberisch, aber nur relativ wenige Arten sind aktive Jäger, die ihre Beute gezielt aufsuchen oder verfolgen. Unter den mitteleuropäischen Arten zählt Acanthaclisis baetica zu diesen. Die überwiegende Zahl der Arten lauert im Sand oder im Bodenstreu versteckt auf Beute. Etwa zehn Prozent aller Arten bauen Fangtrichter zum Beutefang.

Der Trichterbau selbst geschieht folgendermaßen: An geeigneter Stelle beginnt der Ameisenlöwe mit einem kreisförmigen Gang in pflügender Schubbewegung. Daran schließt sich ein spiralförmig verlaufender Gang an, der den entstandenen Graben nach innen erweitert. Durch ständiges Auswerfen des Sandes in den Bereich außerhalb des ursprünglichen Kreisgangs gewinnt der Graben an Tiefe, es entsteht ein Trichter, der zunächst noch eine Kraterinsel in der Mitte hat. Wenn der Ameisenlöwe die Mitte erreicht hat, beendet er die Wandertätigkeit und wirft das in der Mitte verbliebene, ebenso wie das nachrutschende Material aus dem Trichter hinaus. Nach dem Bau des Trichters, der etwa 15 Minuten in Anspruch nimmt, verharrt der Ameisenlöwe am Grund in der Mitte des Trichters, von wo aus er bei Beschädigungen und Störungen durch weitere Auswürfe den Trichter in Form erhält.

Wichtigste Voraussetzung für das „Funktionieren“ des Trichters ist, dass die Steigung der Trichterwände genau dem Reibungswinkel des verwendeten Substrats entspricht (bei Sand etwa 30°) und diese damit die maximal mögliche Steilheit aufweisen. Jeder eingebrachte Fremdkörper, auch jedes Tier, das auf die Trichterwand gerät, bringt deren instabilen Zustand aus dem Gleichgewicht und bewirkt unweigerlich das Abrutschen des Sandes.

Drei verschiedene Wurftechniken wurden beobachtet, die der Ameisenlöwe zum Entfernen größerer Fremdkörper aus dem Trichter anwendet:

  • Der radiale Wurf von der Trichtermitte aus nach hinten über den Körper weg kann Partikel vom zehnfachen Körpergewicht aus dem Trichter befördern
  • Der laterale Wurf auf halber Höhe der Trichterwand seitwärts nach außen beseitigt fünf- bis achtmal schwerere Fremdkörper
  • Der tangentiale Wurf aus halber Höhe über den Körper hinweg reicht für Partikel vom fünffachen Larvengewicht

Nicht jedes Bodenmaterial eignet sich zur Anlage von Fangtrichtern, der Ameisenlöwe ist jedoch nicht unbedingt auf Sand angewiesen. Es kommen auch Löß, Steinabrieb und sogar pflanzlicher Detritus in Frage – die wichtigste Voraussetzung ist, dass das Material dauerhaft trocken bleibt und auch nach Befeuchtung schnell wieder seine rieselfähige Konsistenz erhält. Das spezifische Gewicht des Substrats spielt eine geringere Rolle; nur ein zu leichtes und staubartig feines Material verhindert einen erfolgreichen Trichterbau. Hohes spezifisches Gewicht bereitet keine Probleme. Die Feuchtigkeit des Bodens dürfte in Mitteleuropa der wichtigste begrenzende Faktor in der Verbreitung von Ameisenjungfern sein.

Der Ameisenlöwe nimmt mit seinen Rezeptoren, wahrscheinlich den Sinneshaaren auf den Borstenhöckern des Meso- und Metathorax, bereits aus 60–80 mm Entfernung Insekten wahr, die sich dem Trichter nähern. Schon aus dieser Entfernung kann er eine dem Ankömmling angemessene Reaktion ausführen: Potentielle Beutetiere werden gezielt mit Sand beworfen, bei größeren Tieren, die eine Gefahr darstellen könnten, taucht der Ameisenlöwe in tiefere Sandschichten ab.

Gerät das Beutetier auf die Trichterwand, wird das Abrutschen durch Sandwürfe auf das Tier selbst wie auch durch ungerichtete Würfe gefördert. Am Trichtergrund ergreift der Ameisenlöwe seine Beute blitzschnell in der Körpermitte mit den Kieferzangen und bohrt deren Spitzen in die Intersegmentalhäute zwischen den Chitinplatten. Über den Giftkanal der Kieferzangen wird ein hochtoxisches Gift injiziert, das bereits nach 30 Sekunden seine Wirkung in Form von Lähmung der Beute zeigt. Die Zeit bis zum Tod der Beute kann wenige Minuten bis etwa eine halbe Stunde betragen. Das Beutetier wird teilweise in den Sand am Trichtergrund hineingezogen.

Die Vorverdauung geschieht durch Injektion von Verdauungsenzymen in die gelähmte Beute. Das Körperinnere des Beutetieres wird dabei vollständig zu einer trüben, homogenen Masse aufgelöst. Das anschließende Aussaugen des Nahrungsbreies kann mehrere Stunden betragen, in denen die Beute an mehreren weiteren Stellen angestochen wird. Die ausgesaugte Hülle wird anschließend aus dem Trichter hinausgeworfen.

Anders als der Name suggeriert, gehören nicht allein Ameisen zum Beutespektrum des Ameisenlöwen, wenn diese auch durchaus typische Beutetiere sind und den Hauptteil der Nahrung ausmachen können, falls der Ameisenlöwe in unmittelbarer Nähe eines Ameisenbaues lebt. Im Allgemeinen können aber viele Arten von Gliederfüßern als Nahrung dienen, da der Ameisenlöwe meist nicht die Möglichkeit hat, wählerisch zu sein. Neben Insekten aus vielen Ordnungen zählen Asseln, Spinnen, Milben und Tausendfüßer zur potentiellen Beute, teilweise sogar kleine Nacktschnecken und Regenwürmer. Begrenzende Faktoren sind:

  • Die Größe der Beutetiere: Zu große Beutetiere können sich aus dem Trichter befreien oder zu große Gegenwehr leisten, so dass der Ameisenlöwe meist zur Fluchtreaktion veranlasst wird. Zu kleine Beutetiere können nicht richtig gegriffen werden.
  • Ungeeignete Beutetiere: Bei stark gepanzerten Tieren wie etwa Blattkäfern finden die Kieferzangen des Ameisenlöwen keinen Ansatzpunkt zum Einstechen. Auch die Gehäuse von Gehäuseschnecken können nicht durchbohrt werden, und die Körperhülle von Kellerasseln bereitet ebenfalls gelegentlich Schwierigkeiten.
  • Leblose Beute: Beutetiere, die keinerlei Lebenszeichen zeigen, werden als Fremdkörper angesehen und aus dem Trichter geschleudert.
  • Wehrhaftigkeit: Die Gegenwehr der Beutetiere bereitet dem Ameisenlöwen meist keine größeren Probleme, es gibt allerdings einzelne Berichte, dass größere Ameisen sich erfolgreich gegen einen Ameisenlöwen wehren konnten, teilweise ihn sogar in ihr Nest transportierten.

 

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